Donnerstag, 21. April 2011

Große Kunst im kleinem Bielefeld - The 80's Revisted in der Bielefelder Kunsthalle


Kunsthalle Bielefeld
Nachdenklich stützt sich der Denker auf seine Knie. Ich beobachte ihn aus einiger Entfernung. „I’ll wait“ steht in blasser weißer Farbe auf dem Holz auf dem ich sitze. Stimmt. Es ist kurz vor 11 und die Türen sind noch geschlossen. Ich warte also. Von meiner Bank aus, habe ich einen ziemlich guten Blick. Es hat etwas Majestätisches wie  die vier gelb-roten Flaggen im Wind wehen. „Kunsthalle Bielefeld“ sagen sie stolz. Rostrot hebt sich die Kunsthalle markant von den anderen Gebäuden der Bielefelder Altstadt hervor. Auch sehr markant ist das mehrere Meter lange Plakat, das sich schräg gegenüber vom Eingang erstreckt. Es fällt sofort auf. Aber das soll es ja auch. „The 80’s Revisted“ steht dort in großen schwarzen Blockbuchstaben. Die „80“ ist dabei dreimal so groß wie der Schriftzug. Links daneben ist eine Banane. Natürlich nicht irgendeine Banane - Andy Warhols Banane. Zur Hälfte geschält und einen Bissen genommen, ist sie eins der Merkmale der Pop-Art Kunst aus den 80ern. Das laute Läuten der Kirchturmglocken wirkt in diesem Moment irgendwie störend. Man verfällt hier sehr schnell in einen gelassenen Zustand. Auch das Warten macht mir nichts aus. Der Kunsthallenpark mit den vielen kleinen stählernen Staturen strahlt etwas Ruhiges aus. Aber auch etwas Intellektuelles. Kulturelles. Auf der anderen Seite, mir gegenüber, sitzt ein älterer Mann mit einem Buch. Ein elegantes, schmales Wasserbecken trennt den Sklupturenpark in der Mitte. Schlaufenförmige Wege schlängeln sich von der Kunsthalle aus bis in die Stadt. Überall sprießen gelbe, kleine Narzissen. 11 Uhr, erinnern mich die Kirchturmglocken. Ich geh dann mal rein. 
Skulpturen Park vor der Kunsthalle

Über 50 Jahre alt ist die Kunsthalle schon. Anders als zum Oetkerpark, wo der Name schon alles über die Herkunft aussagt, wissen die meisten Bielefelder nicht, dass auch die Kunsthalle von der Familie Oetker gestiftet wurde. 1986 von Rudolf August Oetker persönlich als Geschenk für die Bürger errichtet, ist das Gebäude heute ein herausragendes Museum und Ausstellungshaus für internationale Kunst. Betritt man die Eingangshalle muss man erst einmal an zwei schweren Glastüren vorbei. In der zweiten spiegelt sich ein dicker Reisebus aus dem immer mehr Kinder heraus strömen. In dem einen Augenblick noch vor mir im Glas, stürmen die Kinder im nächsten Moment schon an mir vorbei in die weitläufige Eingangshalle. Eine überraschend gefasste Frau hinter ihnen her. Wird wohl die Lehrerin sein. „Hängt bitte eure Jacken hierher“, sagt sie ruhig und zeigt in einen kleinen Korridor, wo Platz für die Garderobe der Besucher ist. Ihre Zöglinge, ungefähr im Alter von 10 Jahren, stellen sich, nachdem sie brav ihre Jacken aufgehängt haben, zu zweit in eine Reihe vor die Kasse. Eine Frau mit einem dunkel grauen Hosenanzug und weißer Bluse zählt die Kinder durch. Sie wirkt ein wenig eingeschüchtert vor so viel Lärm und Trubel. Immer wieder rückt sie ihre Brille zurück auf ihre Nase. „Bekomme ich bitte auch eine Quittung für die Schulleitung?“, fragt Frau Lehrerin nachdem alle Schüler eine Eintrittskarte haben. „Unsere Kasse ist leider momentan kaputt“, sagt die Angestellte des Museums entschuldigend. „Können Sie da denn nichts machen?“, entgegnet die Frau allmählich etwas schnippisch. Durch den Lärm der Kinder, die gerade nicht unter der strengen Beobachtung ihrer Lehrerin stehen, kriege ich den Rest des Gesprächs nicht mehr mit. Nur das „Ach lassen Sie’s“ und den wütenden Blick der Pädagogin kann ich noch erhaschen.

"Andy Warhol's Banane"
Nachdem die Schulklasse von einem Führer in die erste Etage des Ausstellungshauses geleitet wird, schaue ich mich in Ruhe in der Eingangshalle um. Die hintere Wand ist in einem knalligen rot angestrichen und gibt den Titel der aktuellen Ausstellung wieder. Diesmal ist die Banane allerdings auf der rechten Seite. Abwechslung muss schließlich sein. Vom Eingang aus rechts hängen zwei große Gemälde. Bunt und poppig springen sie einem sofort ins Auge. Wohin soll ich zuerst gucken? „Win $ 1,000,000“ steht auf dem einem Bild und reißt somit meine Aufmerksamkeit an sich. Klingt ja erst einmal vielsprechend. Ein oranger Hintergrund, rechts ein Baum mit bunten Blättern. In der Mitte grinst einem ein schwarzer Kopf mit geschlitzten, dadurch irgendwie böse wirkenden Augen entgegen. Oben links findet sich ein kleines „Rush“ zu Deutsch „Beeile dich“. Ich lasse es einen Moment auf mich wirken. „Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol, 1984“, heißt es unten rechts. Und was wollen die beiden Herren mir nun hiermit sagen? Alles Trugschluss? Ich werde nie eine Million Dollar gewinnen? Das zumindest leite ich von dem gehässigen Gesichtsausdruck der kleinen schwarzen Gestalt ab. Medienkritisch? Oder doch gesellschaftskritisch? Also kritisch auf jeden Fall.

„Wenn Sie sich nun hier versammeln würden?“, macht eine junge Frau auf sich aufmerksam. Sie steht auf einer mehrere Meter breiten Treppe, die zu der Ausstellung führt. Eine Gruppe von etwa 20 Leuten stellt sich in einen Halbkreis um sie herum. Kurzerhand beschließe ich mir auch eine Karte für die Führung zu kaufen. „Für Studenten nur einen Euro“, sagt die Angestellte an der Kasse freundlich und drückt mir einen roten Punkt in die Hand, den ich mir auf den Pulli kleben soll. Meine Gruppe ist schon dabei in die zweite Etage der Ausstellung zu gehen. Schnell laufe ich hinterher. Vorbei an der ersten Etage, wo die Kinder der Schulklasse ihr Unwesen treiben. Vor einem großen bunten Gemälde kommt unsere Führerin gleich zur Sache. „Jean-Michel Basquiat signierte seine Bilder immer mit „SAMO“. Was könnte das wohl sein?“ fragt sie in die Runde. Ohne eine Antwort abzuwarten sagt sie nüchtern:  „The Same Old Shit oder auch auf Deutsch: Die selbe alte Scheiße.“ Ein Kichern geht durch die Gruppe. Eine ältere Frau mit grauem Haar und vornehmer Kleidung guckt ein wenig empört.
Jean Michel Basquiat, 1981
Dann erfahren wir etwas über den Künstler mit dem ungewöhnlichen Synonym und den riesigen bunten Gemälden. Jean-Michel Basquiat war ein junger afroamerikanischer Mann aus New York, der seine Karriere mit Graffitis begann. Innerhalb weniger Jahre wurde er dann von einem Graffiti Tacker aus Brooklyn zum erfolgreichsten und bekanntesten farbigen Künstler überhaupt. Ich schaue mir eins der Bilder genauer an. Viel Farbe, einige Wörter die durchgestrichen wurden und ab und zu ein schwarzer Kopf. Es könnte primitiv wirken, wäre dort nicht die Genauigkeit mit der jeder einzelne Pinselstrich gesetzt wurde. „Seine Bilder setzen sich mit der schwarzen Kultur auseinander“, erklärt die junge Frau mit den blonden Haaren weiter. Sie trägt eine blaue Bluse mit Blumenprint und dazu einen leichten Schal – ebenfalls mit kleinen bunten Blumen drauf. Während sie spricht gestikuliert sie sehr viel mit ihren Armen und Händen. Dabei zeigt sie auf Einzelheiten und Details. „Dieser schwarze Kopf hier vorne deutet auf Voodoo hin, eine Religion die vor allem in Haiti praktiziert wird. Und Basquiats Vater kam aus Haiti.“ Deswegen also der unheimliche schwarze Kopf auf dem Gemälde in der Eingangshalle. Ich gehe ein paar Schritte von der Gruppe weg und stoße auf ein Interview mit Basquiat, das neben einem der Gemälde hängt. Auf die Frage von welchen Themen seine Werke handeln antwortet er: „Königtum, Heldentum, Straße.“ Auf dem eingerahmten Papier, wo das kurze Interview drauf gedruckt wurde, befindet sich ein Bild von Basquiat selbst. Ein gut aussehender junger Mann, guckt ernst und keck zugleich in die Kamera. Seine schwarzen Haare, an den Seiten rasiert, stehen mehrere Zentimeter in die Höhe. „Jean-Michel Basquiat starb 1986 mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin“, höre ich die Museumsführerin abschließend sagen.

Andy Warhol, 1960er Jahre
Dann geht die Tour weiter. Die Gruppe trottet langsam hinter der quirligen Frau hinterher, die zielstrebig in den nächsten Raum läuft. In der Mitte des rechteckigen Raums steht eine lange Bank mit schwarzem Polster, die direkt von den Leuten eingenommen wird. Die Wände sind sehr hoch. Hoch genug für die weitläufigen Gemälde. „Hier sind wir im Andy Warhol Raum“, sagt sie ein wenig stolz. Andy Warhol, der bedeutendste amerikanische Pop-Art Künstler, hieß eigentlich Andrew Warhola und war ursprünglich Werbegrafiker, erfahren wir schnell. Die junge Frau richtet unsere Blicke jetzt auf die rechte Wand. Alle Bilder werden von Scheinwerfern, die aus der Decke ragen, beleuchtet und sind durch eine dicke Schnur von den Besuchern getrennt. Nicht anfassen, möchten sie sagen. „Dieses Bild hier von der schönen Marilyn Monroe kennt wohl jeder“, behauptet unsere Führerin. Viele kleine Marilyn Monroe Köpfe in Pink, Grün und Gelb gucken uns charmant an. „Achtzehn müssten es sein“, sagt sie unsicher und zählt nochmal durch. Dabei tänzelt sie mit kleinen kurzen Schritten um das Bild herum. Rechts daneben sieht man ebenfalls eine bekannte Persönlichkeit. Aber nur in vierfacher Ausführung. Die Mona Lisa mit ihrem immer gleichen und oft diskutierten Lächeln. Hier jedoch von hell bis dunkel mit goldenem Schimmer bedeckt. „Andy Warhol hat nur kopiert!“ Deswegen hatte er auch oft Probleme mit Menschen, die sich über ihr Copyright beschwert haben. Auch der Louvre hatte damals so seine Probleme mit der Kopierung ihres bekanntesten Werks. Warhol hat den Siebedruck erfunden, erfahren wir weiter. Er malte nicht, sondern kopierte die Bilder anderer Künstler und gab dann seine eigene Note bei. Warum? „Weil er alles perfekt haben wollte. Alles sollte wie von der Maschine gemacht aussehen. Perfekt eben.“  

Andy Warhol und Jean Michel Basquiat
Im letzten Raum der zweiten Etage befinden sich sowohl Werke von Warhol als auch von Basquiat. Werke, die die beiden zusammen gestaltet haben. Warhol wurde damals auf den aufstrebenden Künstler aus Brooklyn aufmerksam und so ergab sich eine Zusammenarbeit. „Wussten sie, dass Warhol homosexuell war?“ Nein, das wusste ich nicht. „Es ist zumindest anzunehmen, dass Warhol Basquiat ziemlich attraktiv fand“, munkelt unsere Museumsführerin über eine mögliche Affäre der beiden. „Sie schickten sich die unfertigen Bilder immer wieder zu“, kommt sie dann wieder zum Punkt. „Was gehört hier zu Basquiat und was zu Warhol?“, fragt sie nun herausfordernd und deutet auf ein großes Bild, das einen auf den ersten Blick eher verwirrt. Natürlich ist wieder viel Farbe im Spiel, aber auch Zahlen, Wörter und Köpfe. „Der schwarze Kopf gehört zu Basquiat“, sagt ein Mann mit tiefer Stimme hinter mir. „Die 6,99$ zu Warhol!“ Eine mehr oder weniger heftige Diskussion über die Einzelteile des Bildes und wer sie gemacht hat beginnt. Die, die gut aufgepasst haben, sind klar im Vorteil. Mit dem geübten Blick fällt es einem aber eigentlich recht leicht. Die Vermutungen meiner Gruppe waren auch größtenteils richtig. Warhols Teile sehen wie draufgesetzt aus. Fallen durch die markante Siebtechnik sofort auf. Basquiats schwarze Köpfe und die durchgestrichenen Wörter auch. Der Sinn der Kunst ist immer zu interpretieren. Was hat sich der Künstler damit gedacht?  - die elementarste Frage. „Warhol hat sich nie zu seinen Bildern geäußert.“ Das wäre dann wohl die Aufgabe des Betrachters. Mit diesen Weisheiten entlässt die kunst-begeisterte Frau uns zurück ins Hier und Heute.

"Der Denker"
Als ich das Gebäude verlasse, verabschiede ich mich noch für einen Moment bei dem Denker. 1902 von dem Franzosen Auguste Rodin entworfen, steht der Gute schon seit Geburt der Kunsthalle an immer demselben Platz. Seitdem sitzt er dort und denkt. Aufgestützt auf seine Knie. Mit den vielen offenen Interpretationsmöglichkeiten der aktuellen Ausstellung, hat er wieder genug Anstoß zum Denken, denke ich.



4 Kommentare:

  1. Kyra, die Reportage ist dir echt gut gelungen. Die Namen der Künstler Andy Warhol und Jean Michel Basquiat waren in der Schule zwar ein Begriff, aber durch diese wunderbaren Beschreibungen lernt man die Kunstrichtung Pop Art erst aus einer neuen Perspektive kennen. Daumen hoch!

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  2. ...es ist dir so liebevoll gelungen, uns an den "Kleinigkeiten" deines Besuches der Ausstellung teilhaben zu lassen. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, mit dabei gewesen zu sein. Toll!

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  3. Die Reportage war wirklich toll geschrieben. Hörte sich alles sehr interessant an :) Ich glaub ich werd da jetzt auch mal hinfahren und mir das anschauen :)

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  4. Man vergisst einfach so schnell, was Bielefeld zu bieten hat! Ein wirklich toller Bericht, hab ihn grad zum Frühstück gelesen :) Werde bei meinem nächsten Heimat-Aufenthalt der Kunsthalle einen Besuch abstatten! Mach weiter so!

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Merci, chérie.